Als ich mir Gedanken über mein Wort des Jahres gemacht habe, habe ich mich geschämt, als mir als erstes Wort „Geld“ in den Sinn kam.
Daran habe ich gemerkt, dass das Wort Geld für mich eine unanständige Bedeutung hat. Raffgier, Macht, Egoismus, Unterdrückung, Ungerechtigkeit. Das Gegenteil von dem, für das ich mich gerne einsetze: Chancengleichheit, Ressourcen schonen, Partizipation, eine gerechtere Welt, Gemeinwohl-Ökonomie. Interessant.
Geld bedeutete Mühsal
Ich komme aus einer Akademikerfamilie. Mein Vater ist Nuklearphysiker und meine Mutter Medizinerin. Mein Vater kam nach Deutschland, um seine Doktorarbeit zu schreiben und meine Mutter machte nach ihrem Uni-Abschluß das, was wir heute „Work and Travel“ nennen. Sie lernten sich in Deutschland kennen und schafften es nicht mehr zurück. Ohnehin – wohin zurück? In die Volksrepublik China, aus der mein Vater kam? Oder nach Taiwan, wo meine Mutter herkam?
Wir hatten zu Hause genug Geld. Mein Vater verdiente überdurchschnittlich. Dennoch fuhr mein Vater die Erziehungsstrategie, uns in „relativer Armut“ aufwachsen zu lassen, also ärmer als die Menschen in unserem Umfeld. Es gab wenig Taschengeld, und ganz am Anfang mussten wir uns dieses verdienen. Zum Beispiel durch Unkraut auszupfen: für eine bestimmte Fläche gab es 10 Pfennige. Eine andere Variante war, dass mein Bruder und ich für jede mit chinesischen Schriftzeichen vollgeschrieben DIN A4-Seite 10 Pfennige erhielten. Wir mussten auch unsere Telefonate bezahlen. Für jede Minute sollten wir den passenden Betrag in die beiliegende Dose werfen. Das Geldverdienen war also sehr mühselig. Neidisch nahm ich die Großzügigkeit und Leichtigkeit meiner Klassenkamerad:innen in Sachen Geld wahr.
Sobald ich das erlaubte Alter erreicht hatte, trug ich Zeitungen aus. Meine Mutter half uns dabei. Sie selbst erhielt, außer einem stark reglementierten Haushaltsgeld, kein Geld zu ihrer freien Verfügung. Lange Zeit nach der Geburt von meinem Bruder und mir, arbeitete sie nicht. Mein Vater vertrat die Ansicht, dass zu Hause alles ihm gehörte, da er es mit seinem hart erarbeiteten Geld bezahlt hatte. Und so hatte er die Macht über die meisten Dinge: Wo und was wir an Lebensmittel einkauften, wo wir in den Urlaub fuhren, wie lange wir fernsehen durften. Aha, daher kommt dieses Gefühl, dass Geld unweigerlich mit Mühsal und Unterdrückung verbunden ist.
Den Umgang mit Geld neu erlernen
Seit Jahren arbeite ich nun daran, meine Kompetenz in Sachen Geld weiterzuentwickeln. Ich musste das zuerst bewusst bei der Gründung meiner Design Agentur machen, damit die Aufträge mich und mein Team ernährten und später auch, um als kompetent wahrgenommen zu werden. Angebotserstellung, Steuern, der richtige Preis.
Um mich auf dem Markt zu behaupten und um die Entscheider:innen auf Kund:innseite zu verstehen, wollte ich mein Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge erweitern. Und das über meinen Horizont als Unternehmerin einer kleinen Agentur hinaus. Ich investierte in ein Postgraduiertenprogramm an Deutschlands bester „Business School“. Einem Executive MBA, an dem überwiegend Führungskräfte aus Konzernen teilnahmen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Der andere Teil der Wahrheit war, dass ich Gefallen an Geld und Macht fand.
Geld und Macht können etwas Wunderbares sein
2018 nahm ich an dem Global Partnership Summit teil, einem Gipfeltreffen meines Netzwerks Junior Chamber International (JCI), einem weltweiten Verband für junge, gesellschaftlich engagierte Menschen, Unternehmer und Führungskräfte. Der Global Partnership Summit findet seit 2015 einmal im Jahr in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen in New York statt. Damals wurden 17 Ziele von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet, die sogenannten Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, kurz SDGs), die die Armut und Ungleichheit auf der Welt bis 2030 reduzieren sollen. 2018 lag der Fokus des Global Partnership Summits auf dem Ziel Nummer 5: Geschlechtergleichheit.

Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung
Wie immer genoss ich es sehr, von anderen Umständen und Menschen zu erfahren. Es nahmen Mitglieder aus der ganzen Welt teil. Fast alle waren hochrangige Präsidenten der jeweiligen nationalen Mitgliedsorganisationen. Und so konnte ich mir ein Bild davon machen wie es war, zum Beispiel Brasiliens JCI Präsident zu sein: eines riesigen Landes, in dem viele der lokalen Organisationen nur mit einem kleinen Propellerflugzeug und anschließend langer, beschwerlicher Fahrt auf holprigen Straßen zu erreichen waren. Fabio Fagundes nahm sich dennoch vor, sie alle während seiner einjährigen Amtszeit persönlich zu besuchen. Dafür schaffte es Deutschlands JCI Präsidentin nicht zum Gipfeltreffen, weil die schiere Vielzahl an lokalen Organisationen und Veranstaltungen in Deutschland, die sie während ihrer kurzen Amtszeit besuchen wollte, ihr dies nicht erlaubten. Bei der Unterhaltung mit der Delegation aus Hongkong erfuhr ich, dass es aus ihrer Sicht zu viel Freizeit auf dieser Veranstaltung gab. Sie hatten deswegen Schuldgefühle gegenüber ihrer Mitgliedsorganisation, denn ihre Teilnahme an dem Summit wurde von Mitgliedsbeiträgen mitfinanziert.

Mit der Delegation aus Taiwan

Vertreter:innen der weltweiten Mitgliedsorganisationen
Bei den Vorträgen und Workshops traten starke und sehr inspirierende Frauen auf. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, spüre ich immer noch die Energie, die von ihnen ausging. Diese Frauen haben mich dazu inspiriert, eines Tages auch auf der Kanzel zu stehen und andere zu inspirieren und mit Energie voll zu tanken. Damals hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass Geld und Macht für etwas Wunderbares verwendet werden kann. Es inspirierte mich auch ein Mann: Richard Liu, ein amerikanischer Journalist und Nachrichtensprecher für MSNBC und NBC News, früher CNN. Ein internationaler Aktivist für humanitäre Fragen wie Geschlechtergleichheit und Menschenhandel. Bei der Präsentation eines Einsatzes gegen einen Menschenhändler-Ring sagte er einen Satz, der mich unheimlich traf, obwohl er nur etwas auf direkte Art formulierte, das ich ohnehin wusste: „ …Das alles geschieht, weil Frauen auf dieser Welt immer noch als Menschen zweiter Klasse gelten.“
Mit Geld spielen und experimentieren
Ich möchte auch zu diesen Frauen gehören, die Geld und Macht haben, dachte ich damals. Ich möchte die Welt nach meinen Vorstellungen beeinflussen können. Deshalb ist mein Wort für 2021 „Geldspiel“. Denn das Thema Geld soll für mich die gleiche Leichtigkeit und Großzügigkeit gewinnen, wie ich es damals bei meinen Klassenkamerad:innen gesehen habe. Ich möchte mein Geld und meinen Einfluss spielerisch und experimentierfreudig vermehren. Indem ich mich in 2021 in Sachen Geld weiterbilde, Menschen unterstütze, und Produkte und Leistungen entwickle, die dabei helfen, die 17 Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Zum Beispiel mit meinem aktuellen Projekt Gesund in MeinerStadt, einer Plattform die dabei hilft, dass Bürger schneller passende Unterstützung finden, wenn sie in seelischer Not sind.
Und was ist Ihr Wort für 2021?
Mein Wort für 2021 ist eher ein Motto: Sichtbar werden – sichtbar bleiben: against all odds! Ich blogge gegen Vertrauensverlust und Sprachlosigkeit unserer Branche an.
Danke, ich finde deine 3 Blogartikel, die ich gelesen habe, als leichtfüßig und gut nachvollziehbar geschrieben. Ich kann mir deinen Weg nun gut vorstellen. Herzliche Grüße, Claudia
Danke Dir, Claudia!