1 Jahr Corona: Mehr Gemeinsamkeit

Ich telefoniere jede Woche mit einem Freund aus Hongkong. Im Januar vor einem Jahr, habe ich mich beim Gespräch mit ihm darüber amüsiert, dass in Hongkong nun alle Masken tragen müssen. Jetzt tragen wir hier auch Masken. Und auch sonst habe ich viele Gemeinsamkeiten im vergangenem Jahr erlebt.

Gemeinschaft tanken am Anfang der Pandemie
Im Februar 2020 habe ich pünktlich das Abschlussprojekt für meinen Executive MBA abgegeben. Einsame Wochen des Lernens und Arbeitens fanden nun ein Ende. Ich freute mich nun auf die zweiwöchige Studienfahrt nach Südafrika mit meinen Studienkolleg:innen. Fast vier Wochen verbrachte ich insgesamt in Johannesburg und Kapstadt, weil ich vor und nach der Studienfahrt noch ein paar Tage drangehängt hatte, um die beiden Städte auf eigene Faust zu entdecken. Fast vier Wochen ohne Verpflichtungen und in netter Gesellschaft. Als meine Studienkolleg:innen zu Beginn der Studienfahrt nach und nach eintrudelten, umarmten wir uns fest und drückten uns herzlich. Das blieb auch noch bis zum Ende so, als einige von uns schon früher zurückgeflogen, weil die Grenzen drohten zu schließen.

Ein Gruppenbild mit 10 jungen Menschen, die in einem Hotel um einen langen Tisch sitzen.

Während man in Deutschland schon über Schulschließungen diskutierte, war in Südafrika von Corona noch nichts zu merken. Wir besuchten täglich verschiedene Unternehmen und Organisationen und verbrachten jeden Moment miteinander. Noch lange zehrte ich von dieser intensiven Zeit der Gemeinschaft.

Nach Ende der Studienfahrt traf ich noch Freunden aus Deutschland, die gerade ihren Urlaub dort starteten. Aufgrund der verunsicherten Nachrichtenlage, blieben sie jedoch nur drei Tage und flogen eilig mit ihrem kleinen Sohn wieder zurück.

Ich blieb noch, denn es schien schwierig genug, kurzfristig noch einen Rückflug zu erhalten und mein Flug ging ohnehin ein paar Tage später. Dieser wurde von der Airline immer wieder verschoben. In dem Hostel, in dem ich wohnte, gab es ein sehr fröhliches und kontaktfreudiges Mädchen, das anfing trocken zu husten. Irgendwann bat ich sie, in die Armbeuge zu husten. Toilettenpapier gab es noch genug.

Abenteuerliche Heimreise und eine schöne Überraschung
Der Rückflug nach Deutschland war abenteuerlich. Ich flog über Paris und Air France hatte mir den Rückflug nach Frankfurt vorverlegt, mit -3 Stunden und 45 Minuten Umsteigezeit. Ich wusste nicht einmal, dass das System eine Minuszeit anzeigen kann. Am Flughafen in Paris herrschte Panikstimmung und ich nahm auf gut Glück ein Taxi bis zum Bahnhof. Glückliche Zufälle führten dazu, dass ich einige Stunden später wohlbehalten zu Hause ankam. 

Zu Hause war ich erst einmal überrascht, dass mein sonst vorsichtiger Mann nicht auf zwei Wochen Quarantäne bestand. Ich hatte schon befürchtet, dass ich unseren gemeinsamen Sohn erst wieder nach zwei Wochen sehen würde. Aber nachdem ich sechs Tage lang keine Symptome aufwies, war er wahrscheinlich froh, dass ich ihn bei der Kinderbetreuung entlasten konnte.

Mehr gemeinsame Zeit mit unserem Sohn
Damals, als unser Sohn geboren wurde, hatte ich sehr viel Angst um meine berufliche Situation. Als selbstständige Designerin und Unternehmerin, war ich „selbst und ständig“. Ich kämpfte sehr dafür, dass es irgendwie weiterging, so dass ich mich nicht wirklich auf unseren Babysohn entspannt einlassen konnte. Ich war zwar da, aber mit den Gedanken beim Business. Darunter litt die Beziehung zu ihm. Dafür war sie sehr eng zwischen meinem Mann und ihm. Ich mache gerne Witze darüber, dass bei uns mein Mann die Mama ist.

Der Lockdown bot mir nun die Chance, mehr Zeit mit unserem Sohn zu verbringen, der nun in die erste Schulklasse ging. Da mein Mann die Familie vorerst ernähren konnte, entschloss ich mich, nach all den Jahren der Zerrissenheit zwischen Arbeit und Kind, die Arbeit nun bewusst ruhen zu lassen und mich darauf zu konzentrieren, mit unserem Sohn eine gute Zeit zu verbringen. Rückblickend war es die absolut richtige Entscheidung. 

Im Wald nicht mehr einsam und ein neuer Sport in bester Gesellschaft
Die Spielplätze waren geschlossen und alle gingen in den Wald. Es war schön für mich zu sehen, wie auf einmal so viele Menschen den von mir so geliebten Wald für sich entdeckten. Der Wald, der mittlerweile nach drei Dürrejahren zu 97 % kaputt war. Ich freute mich und hoffte, dass sich nun mehr Menschen dafür einsetzen würden, ihn zu erhalten und etwas gegen den Klimawandel zu tun.

Auf eine Waldlichtung liegt eine Frau auf einer Picknickdecke und macht ein Nickerchen. Im Hintergrund befinden sich zwei aus Ästen gebaute Höhlen. Die Bäume weisen frisches, grünes Laubwerk auf.

Die Eiersuche an Ostern haben wir im Wald gemacht, mit Picknick und Hängematte. Es war das erste Mal, dass ich meine Mutter ein Nickerchen im Wald habe machen sehen.

Unser Kind hatte Sport-Aufgaben und so fingen wir an, in der Wohnung zu joggen, 15 Minuten lang. Meine schmerzende „Frozen Shoulder“ erfuhr eine sofortige Besserung. Nun begann ich also zu joggen, ich, die joggen hasste. Ich steigerte mich unregelmäßig und nahm eine Freundin zur Hilfe, die mit mir am Ende fast täglich joggte, bis sie einen neuen Job fand. Heute jogge ich zwei bis dreimal die Woche, 31 Minuten lang und bin dabei in bester Gesellschaft.

Weniger Einsamkeit durch gemeinsame Einsamkeit
Ansonsten hatte ich das Glück (oder Unglück, wie man es nimmt), dass sich mein Leben durch Corona nicht wirklich veränderte. Als selbstständige Mutter war ich schon vorher sozial isoliert und das Geldverdienen aufgrund der verminderten Zeit schwierig. Einiges hat sich durch den Lockdown für mich sogar verbessert:

  • Jetzt haben auch andere Menschen Teams, die nicht mit ihnen im Büro zusammensaßen. Ich arbeitete schon immer mit einem Team, das an verschiedenen Orten saß. Ich fand es angenehm, dass es nun auch für andere zur Selbstverständlichkeit wurde und fühlte dadurch mehr Gemeinsamkeit.
  • Jetzt war es salonfähig, sich einfach zum Quatschen zu verabreden, weil man etwas gegen seine „Isolation“ tun wollte. Vor einigen Jahren, als sich die Geburt unseres Sohnes ankündigte, richtete ich mir vorsorglich einen Arbeitsplatz zu Hause ein, für den Fall, dass ich es nicht immer ins Büro schaffte. Schon damals graute es mir vor der Vereinsamung zu Hause, ohne den Austausch mit Kollegen und anderen Erwachsenen. Das stieß bei anderen nicht immer auf Verständnis, da sie entweder sowieso davon ausgingen, dass ich von zu Hause arbeitete oder mich darum beneideten. Während der Babyzeit war die Einsamkeit sehr stark, denn in meiner Umgebung hatte ich keine Freunde und Gleichgesinnten mit Kindern im selben Alter. Dass das Thema Einsamkeit während der Pandemie salonfähiger geworden ist, finde ich gut. Jetzt sagen mir andere Menschen offen, dass ihnen die Decke auf den Kopf fällt und wir verabreden uns online oder einfach telefonisch zum Kaffee. Und plötzlich erscheint es sogar wie eine Leistung, auf die ich stolz sein kann, weil ich es schaffte, zu Hause nicht vor Einsamkeit depressiv zu werden.
  • Jetzt konnte ich auch von zu Hause aus netzwerken. Bevor wir unseren Sohn bekamen, war ich sehr viel unterwegs und in guter Gesellschaft, zum Netzwerken und Aufträge ranschaffen. Nun musste ich mich mit meinem Mann organisieren, wer auf unseren Sohn aufpasste, was nicht immer einfach war. Entsprechend lief auch das Geschäft viel schlechter. Dass ich jetzt online auf Netzwerk-Veranstaltungen und Seminare gehen kann, wo es auch in Ordnung ist, wenn unser Sohn mal reinkommt, empfinde ich als großen Zugewinn. Ich habe dadurch viel wertvollen Austausch und neue Geschäftspartner:innen für mein Business gewonnen.

Die neue Offenheit bringt neue Chancen
Es liegt in der Natur des Menschen, dass man Probleme nur wahrnimmt, wenn man sie selber hat. Corona hat die Aufmerksamkeit auf das Thema der sozialen Isolation gelenkt, das vorher offensichtlich nicht die Masse der Menschen betraf. Denn schon vorher gab es Menschen, die sozial isoliert waren. Die Gründe dafür sind vielfältig: Sie liegen in uns selbst oder auch an äußeren Umständen. Ich denke an Menschen, die schon immer von Einsamkeit bedroht waren: Menschen die Angst haben, auf andere zuzugehen, Menschen ohne Gleichgesinnte, schwer erkrankte Menschen, Menschen, die mit einer Behinderung leben, pflegende Angehörige, Alleinstehende, Alleinerziehende, Arbeitslose, Workoholics, Menschen, die viel alleine arbeiten, Menschen, die geschäftlich viel reisen, Menschen in hohen Positionen, Menschen mit Existenzängsten, arme Menschen, reiche Menschen, unfreie Menschen, Menschen, die in eine neue Umgebung kommen und Menschen, die die Sprache der Umgebung nicht sprechen. Die neue Offenheit führt dazu, dass es mehr moralische und praktische Unterstützung für einsame Menschen gibt und diese von Menschen auch angenommen wird.

Jeder Neuanfang ist ein Einsamkeits-Resilienztraining
Ich kann mittlerweile wieder gut für mich sorgen. Das Wechselmodell, das mein Mann und ich seit nunmehr eineinhalb Jahren leben, lässt wieder mehr Freiraum für unsere eigenen Unternehmungen zu. Aktuell habe ich meinen Kreis, mit dem ich mich regelmäßig austauschen und treffen kann. Das ist für mich nicht selbstverständlich und ich habe ihn in meinem Leben durch meine Auslandsaufenthalte und Umzüge mehrmals aufbauen müssen. Neulich fragte mich eine Freundin (die vor einiger Zeit ausgewandert war), ob ich mir nicht auch vorstellen könne, ein neues Leben im Ausland anzufangen. Ich sagte ihr, nein, im Moment nicht – und fühlte mich wie eine Langweilerin. Hinterher habe ich gezählt, dass ich schon 16 Neuanfänge in meinem Leben hatte. Sie haben wohl mitunter dazu beigetragen, dass ich im letzten Jahr keine mentale Krise erlebt habe.

Gemeinsam gegen das Stigma
Mir ist es nicht einfach gefallen, über dieses Thema zu schreiben. Denn Einsamkeit ist stigmatisiert. Dabei hat Einsamkeit hat viele Gründe und Facetten. Welche fallen dir noch ein? Scroll runter um zu kommentieren.

PS.: Hier noch ein schönes Interview mit Politikerin, Unternehmerin und Publizistin Diana Kinnert zum Thema Einsamkeit: „Es gibt sehr viele Gründe für Einsamkeit. Aber in der Mitte der Gesellschaft wird Einsamkeit sehr schamvoll behandelt, weil es mit sozialem Versagertum assoziiert wird.“

1 Kommentar

  1. Oh ja, dieses Thema ist nicht einfach, schlimm ist es, wenn die Einsamkeit unverschuldet daherkommt. Insofern findest du dich in guter Gesellschaft wieder. Es ist allerhöchste Zeit, dass jeder von uns wieder selbstbestimmt agieren darf. Hoffentlich wird der Schaden wieder gutzumachen sein, den der wiederholte, langanhaltende Lockdown anrichtet. Mich erinnert es an die Redewendung: Operation gelungen, Patient tot.

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